Inmitten wachsender sozialer Ungleichheit, explodierender Mieten und globaler Krisen gewinnen jahrhundertelang erprobte Ideen neue Kraft: Die kollektive Übernahme von Land, Häusern oder Betrieben durch eine (meist lokale) Gemeinschaft. Fast immer geht es dabei um die Vision, die Infrastruktur unseres Alltags und letztendlich auch dessen, was wir als Wohlstand bezeichnen, gemeinschaftlich zu besitzen und zu verwalten. Zu Bedingungen, die von den Miteigentümer:innen definiert werden und nicht durch Marktzwänge, Intermediäre oder die Profitinteressen Dritter.
Was ist ein Community Buyout?
Community Buyouts – kollektive Eigentumsübernahmen und demokratisch organisierte Verwaltung – stehen dabei im Zentrum einer Bewegung, die unser Verständnis von Wohlstand und Eigentum grundlegend hinterfragt.
Ziel eines Community Buyouts ist es, Land, Ressourcen, Mietshäuser oder auch den eigenen Arbeitsplatz dauerhaft der Spekulation zu entziehen, gemeinwohlorientiert zu bewirtschaften und demokratisch zu verwalten. Die Kontrolle liegt bei denjenigen, die den Ort nutzen und beleben – nicht bei anonymen Investor:innen oder weit entfernten Konzernzentralen.
Die lange Geschichte kollektiven Eigentums
Die Idee, die einem Community Buyout zugrunde liegt, ist keineswegs neu. Seit Jahrhunderten fordern Menschen Alternativen zu rein privatem oder staatlichem Eigentum. Historische Vorbilder reichen von Allmenden über Genossenschaften bis hin zu radikalen Selbstverwaltungsversuchen wie der Pariser Kommune von 1871. Diese lebte für 72 Tage eine Gesellschaftsform, in der Kunst, Bildung, Arbeit und sogar Luxus als kollektive Güter neu gedacht wurden. Die in dieser Zeit geprägte Idee von Kommunalem Luxus steht für Überfluss als geteilten Reichtum: Schönheit, Kultur und Natur als öffentlich zugängliche Ressourcen – produziert für menschliche Bedürfnisse, nicht für Profite.
Vom Grundbedürfnis zum Luxus
Was früher selbstverständlich schien – sauberes Trinkwasser, bezahlbarer Wohnraum, gesunde Luft – wird heute zunehmend zum Luxusgut. In vielen Regionen der Welt, auch inmitten westlicher Wohlstandsgesellschaften, sind selbst grundlegende Bedürfnisse nicht mehr garantiert.
Gleichzeitig leben wir im Überfluss: Konsumgüter, Unterhaltung, Billigflieger, Fast Fashion – was einst Luxus war, ist allgegenwärtig. Doch während wir uns im materiellen Überfluss verlieren, bröckeln die Säulen echter Lebensqualität: Sichere Jobs, Gesundheitsversorgung, Bildung, regionale Lebensmittel, soziale Absicherung.
Unsere Vorstellung von Wohlstand steht auf dem Prüfstand. Die Frage ist: Was ist eigentlich Wohlstand heute und wie können wir Wohlstand für viele ermöglichen? Hier bekommt die Idee einer lokal verankerten, solidarischen Wirtschaft neue Relevanz. Können wir nicht fast alles erreichen, wenn wir uns zusammenschließen?
Ein Blick in die Geschichte zeigt: Ja – wenn auch nicht immer langfristig. Die Pariser Kommune hielt zwei Monate, die selbstverwalteten Kommunen im Spanischen Bürgerkrieg einige Jahre. Die autonome kurdische Region Rojava im Norden Syriens besteht seit über einem Jahrzehnt. Das Mietshäusersyndikat in Deutschland (“Die Häuser denen, die drin wohnen”) zeigt seit 1999, dass kollektiver Besitz auch langfristig möglich ist.
Auch jüngere Beispiele wie die Solidaritätskliniken in Griechenland oder die Occupy-Wall-Street-Bewegung prägen bis heute Vorstellungen einer demokratischen, gemeinwohlorientierten Ökonomie. Diese historischen Erfahrungen sind kein Modell von gestern. Sie liefern Werkzeuge, Strategien und Mut für heutige Initiativen wie Community Buyouts.
Kollektives Eigentum heute: Modelle aus der Praxis
In Europa und weltweit zeigen zahlreiche Initiativen, wie Community Buyouts konkret umgesetzt werden können. Hier einige Modelle im Überblick:
Genossenschaften
Genossenschaften sind die klassische Rechtsform für gemeinschaftliches Eigentum. Mit dem Prinzip One member – one vote ermöglichen Genossenschaften demokratische Kontrolle unabhängig vom eingebrachten Kapital. Sie sind in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert verbreitet – und aktueller denn je. 2025 ist das Jahr der Genossenschaften. In seinem Grußwort an die internationale genossenschaftliche Gemeinschaft betonte UN-Generalsekretär António Guterres: „Genossenschaften sind die Lösung für viele globale Herausforderungen unserer Zeit. Sie tragen entscheidend dazu bei, die nachhaltigen Entwicklungsziele der Weltgemeinschaft zu erreichen. Sie fördern regionales Unternehmertum, ermöglichen den Zugang zu Märkten und bekämpfen weltweit Armut und soziale Ausgrenzung. Genossenschaften gestalten eine bessere Welt.“
Community Land Trusts (CLTs)
Inspiriert vom anglo-amerikanischen Raum erwerben Community Land Trusts Land, um es über gemeinwohlorientierte Trägerstrukturen dauerhaft der Spekulation zu entziehen. CLTs halten Land treuhänderisch und verpachten es in der Regel über Erbbaurecht an Nutzer:innen, die darauf Gebäude errichten oder erhalten. Die dafür erhobenen Beiträge, etwa in Form eines Erbbauzinses, dienen nicht der Profitmaximierung, sondern sichern die langfristige, sozial gerechte Nutzung und Weitergabe des Bodens.
Im Unterschied zum klassischen Eigentumsmodell bleibt der Boden im Besitz des Trusts – das verhindert Spekulation, schützt vor Verdrängung und ermöglicht dauerhaft bezahlbare Mieten oder Eigentum zu Selbstkosten.
Ein Beispiel ist die 2019 gegründete Stadtbodenstiftung Berlin, die urbanes Land demokratisch und gemeinwohlorientiert verwaltet – als zivilgesellschaftlich organisierter Gegenpol zur Bodenverwertung durch den Markt.
Mietshäuser Syndikat
Das Mietshäuser Syndikat ist ein Netzwerk von über 200 Hausprojekten, die ihre Immobilien in kollektives Eigentum überführen, um sie dauerhaft dem Markt zu entziehen. Jedes Projekt ist autonom, gleichzeitig aber über eine Struktur miteinander verbunden. Ziel ist ein selbstbestimmtes Zuhause mit dauerhaft bezahlbaren Mieten, oft verbunden mit öffentlichen Räumen für gemeinschaftliche Nutzung.
Da solche Modelle auf dem klassischen Immobilienmarkt kaum angeboten werden, gründen viele Initiativen Hausvereine, um das Objekt gemeinsam zu kaufen. Das größte Hindernis ist dabei meist die Finanzierung: Direktkredite aus dem Umfeld und Bankdarlehen müssen organisiert werden – ein riskantes Unterfangen, das in der Anfangsphase kaum Spielräume lässt.
Hier setzt das Mietshäuser Syndikat an. Es vernetzt autonome Hausprojekte, schafft Wissenstransfer und organisiert finanzielle Solidarität: Altprojekte mit abbezahlten Krediten unterstützen neue Gruppen mit Geld, Erfahrung und politischer Rückendeckung. Der Grundgedanke: Gemeineigentum stärken, statt Wohnen dem Markt zu überlassen.
Workers’ Buyout
Wenn ein Unternehmen zur Übergabe steht, können Mitarbeitende selbst übernehmen: Durch die Gründung einer Genossenschaft (eG) wird der Betrieb gemeinschaftlich aufgekauft – oft unterstützt durch Fördermittel, Kredite oder Crowdfunding. Die Beschäftigten werden zu gleichberechtigten Miteigentümer:innen und führen das Unternehmen demokratisch weiter. So bleibt Know-how erhalten und Arbeitsplätze werden gesichert. Interessante Beispiele dafür sind in Deutschland Unternehmen wie oose eG, Roterfaden eG oder auch die Iteratec nurdemteam eG. Die Platform Coops eG, deren Mitgründerin ich bin, organisiert Workshops, Informationsveranstaltungen und persönlichen Austausch zu allen Aspekten rund um Workers‘ Buyout. Wir begleiten und beraten interessierte Unternehmen auf dem Weg zur Gründung einer Genossenschaft. In der ZDF-Dokumentation Plan B-Nachfolge dringend gesucht ist auch meine Die Platform Coops-Mitgründerin Claudia Henke zu sehen, die das Team von Roterfaden bei der Umwandlung in eine Genossenschaft begleitet hat.
Platform Cooperatives: Digitale Infrastruktur in Nutzer:innenhand
Plattform-Kooperativen sind digitale, genossenschaftich organisierte Gemeinschaftsunternehmen, die Nutzer:innen und Anbieter:innen über eine App oder Website direkt zusammenbringen – etwa für Mobilität, Pflege oder Handel. Im Gegensatz zu Big-Tech-Plattformen gehören sie den Menschen, die sie nutzen, und werden demokratisch kontrolliert. Sie sind ein Gegenmodell zu profitorientierten Monopolen der Plattform-Ökonomie.
Ein Beispiel aus dem europäischen Raum ist CoopCycle, ein europaweites Netzwerk von Fahrrad-Lieferdiensten, genossenschaftlich im Kollektiv organisiert – mit gemeinsamer Software und demokratischer Kontrolle.
Weitere Beispiele sind:
- Up & Go Coop: Eine Reinigungsplattform, die den Arbeiter:innen selbst gehört – mit fairen Löhnen und ohne Ausbeutung durch Vermittlungsagenturen.
- Resonate Music Streaming Collective: Eine Musik-Streaming-Plattform im Besitz der Künstlerinnen und Hörerinnen, die auf solidarischem Teilen basiert.
- The Drivers Cooperative: Eine Alternative zu Uber, bei der Fahrer:innen in New York selbst Eigentümerinnen der Plattform sind, mit besseren Konditionen und Mitbestimmungsrecht.
Rechte für Flüsse, Wälder & Co – Natur als Rechtssubjekt
Das internationale Rights of Nature-Movement setzt sich dafür ein, dass Ökosysteme wie Flüsse, Berge oder Wälder als juristische Personen anerkannt werden – mit eigenen Rechten auf Schutz, Regeneration und Existenz.
Ein Vorreiter ist der neuseeländische Whanganui River, dem 2017 offiziell der Status einer juristischen Person verliehen wurde. Die Interessen des Flusses werden durch Kaitiaki vertreten, so genannte Hüter:innen, die sich im Rahmen eines Stewardship-Programms um den Fluss kümmern.
Nach dem großen Fischsterben in der Oder vor drei Jahren begann sich auch in Deutschland und Polen eine Gruppe von Umweltaktivist:innen mit dem Projekt Osoba Odra für die Erlangung eines Rechtsstatus für den Fluss einzusetzen.
Anstelle von Eigentum geht es hier um gesetzliche Anerkennung und eine neue Form von Verantwortung – die Natur nicht als Ressource, sondern als Partnerin zu begreifen.
DAOs – Decentralized Autonomous Organizations
Decentralized Autonomous Organizations (DAOs) sind digitale Organisationsformen, die es Menschen ermöglichen, gemeinsam Entscheidungen zu treffen und Ressourcen zu verwalten.. Eigentum, Mitsprache und Verantwortung werden dabei nicht über klassische Hierarchien, sondern über Smart Contracts und kollektive Abstimmungen organisiert.
Im Gesamtzusammenhang gemeinschaftlicher Modelle der Aneignung von Ressourcen bieten DAOs neue Möglichkeiten für verteiltes, demokratisches Eigentum, unabhängig von geographischer Nähe oder traditionellen Rechtsformen. Sie ergänzen bestehende Modelle wie Genossenschaften oder Community Land Trusts und schaffen digitale Räume für gemeinschaftliche Ökonomie – etwa für die Finanzierung, Verwaltung oder Weitergabe gemeinsamer Güter.
Wie geht’s jetzt weiter?
Von den frühen Autonomiebewegungen bis hin zu digitalen Netzwerken – es gibt viele Beispiele für die kollektive Übernahme und Steuerung von Ressourcen. Viele davon sind in der Mainstream-Kultur nur schwer sichtbar, vielen fehlt die wirtschaftliche Resilienz. Aber es gibt sie und es werden immer mehr. Community Buyout-Projekte brauchen neben der Finanzierung auch politischen Rückenwind. Wenn man überlegt, dass in Deutschland mehr als 100.000 kleine und mittlere Unternehmen pro Jahr zur Nachfolge stehen, wird klar, dass in der genossenschaftlichen Unternehmensnachfolge, dem Workers’ Buyout, ein riesiges Potenzial steckt. Italien beispielsweise hat einen staatlichen Mutualitätsfond bereitgestellt, um genossenschaftliche Nachfolge dort möglich zu machen, wo es sonst keine Nachfolgelösung gibt. In Großbritannien gibt es den Employee Ownership Trust, der Steuererleichterungen und weitere Vergünstigungen ermöglicht. Auch wenn es vermehrt Beratungsstellen hinsichtlich Workers’ Buyout gibt, etwa durch die regionalen IHKs, fehlt es in Deutschland noch an struktureller Unterstützung für dieses Modell.
Damit Community Buyouts hierzulande keine Ausnahme bleiben, sondern zu einer echten Alternative werden, braucht es mehr als nur gute Ideen und vereinzelt aktive Gruppierungen. Es braucht strukturelle, politische und finanzielle Rahmenbedingungen, die gemeinschaftliches Eigentum fördern statt behindern. Dazu zählen:
- Förderprogramme für den gemeinschaftlichen Erwerb von Boden, Gebäuden oder Betrieben, die speziell auf Community-Buyout-Initiativen zugeschnitten sind.
- Rechtliche Erleichterungen, etwa bei der Gründung von Genossenschaften, Trusts oder hybriden Eigentumsformen – sowie klare gesetzliche Anerkennung kollektiver Eigentumsmodelle.
- Bildungs- und Beratungsangebote, die über Alternativen zu Markt und Privatbesitz informieren und konkrete Unterstützung bei der Umsetzung bieten.
- Öffentliche Sichtbarkeit: Damit mehr Menschen von existierenden Modellen erfahren, sich vernetzen und inspirieren lassen können – von lokalen Allmenden bis zu globalen Plattform-Genossenschaften.
- Zugang zu Kapital, das nicht auf schnelle Rendite, sondern auf langfristige Gemeinwohlorientierung ausgerichtet ist – etwa durch solidarische Fonds, Crowdinvesting-Plattformen oder öffentliche Kreditgarantien.
Community Buyouts sind ein machtvolles Werkzeug, um dem Verlust von sozialer Infrastruktur, dem Ausverkauf des Gemeinwesens und wachsender Ungleichheit etwas entgegenzusetzen. Sie eröffnen neue Wege zu einem Wohlstand, der geteilt wird – und nicht auf Kosten anderer entsteht. Damit das gelingt, braucht es eine politische Agenda, die Gemeineigentum nicht nur erlaubt, sondern aktiv ermöglicht.